Transformation durch Psychedelika
Transformation durch Psychedelika

Transformation durch Psychedelika

Dieser Essay entstand im WiSe23/24 Rahmen des Seminars „Dunkelgrüne Religion – Religiosität & Spiritualität als Transformationsdesign für eine Andere Welt?“ unter der Leitung von Dr. Wolfgang Kapfhammer an der LMU. Die Illustrationen sind in Zusammenarbeit mit DreamStudio entstanden. Quellen befinden sich im PDF.

Abstract

In diesem Essay reflektiere ich über die Auswirkungen des Design-Modells der Moderne auf unsere Wahrnehmung der Welt und die ökologische Krise. Im Rahmen einer autoethnographischen Forschung in Amsterdam mit psychedelischen Substanzen, ziehe ich aufschlussreiche Erkenntnisse über korrelative Denkweisen und Bedeutungen von Zusammenhängen jenseits linearer Kausalitäten. Nicht zuletzt unterstreiche ich die potenzielle Transformationskraft von Psychedelika für alternative Weltanschauungen und eine ökologische Bewusstseinsbildung.

Einleitung

In meiner Kindheit besaß ich ein riesiges Repertoire an unterschiedlichen Spielzeugen – ob Lego, Playmobil, Kuscheltiere, Bauklötze, Gummifiguren. Mit diesem wildzusammengewürfelten Set bauten & spielten meine zwei Geschwister und ich leidenschaftlich gern. Als großer Bruder empfand ich damals die Notwendigkeit einen gewissen interkonnektiven Realitätsrahmen mit Spielregeln zu schaffen, sodass wir die unterschiedlichen Spielrealitäten miteinander verknüpfen konnten. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich meinen Brüdern beim Spielen eingreifen musste, um sie auf physikalische Gesetze hinzuweisen oder um mystische Elemente zu unterbinden, die eine willkürliche Spielweise voraussetzen würden. So ein Spiel-Design gibt es nicht nur im Wohnzimmer, sondern auch in Gesellschaften und Wissenschaften. Das Design legt fest, wie wir Menschen Sandkasten, Garten oder Pool auf dem Spielplatz Erde benutzen (wollen). Unter anderem mit den Bauklötzen der Ontologie und Epistemologie bestimmen wir Menschen, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen und welches Verhältnis wir zur Natur pflegen (wollen). Angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen, die durch das bisherige Design-Modell der Moderne entstanden sind, das zur ökologischen Krise geführt hat, widmet sich dieser Essay dem Thema der Spiritualität als Transformationskonzept für eine alternative Welt und untersucht die Existenz alternativer Design-Konzepte anhand meiner eigenen Erfahrungen mit psychedelischen Substanzen.

Design-Konzept der Moderne & Auswirkungen auf die Umwelt

Ein Design-Konzept bildet zunächst das soziokulturelle Fundament (framework) einer Art & Weise des Denkens. Ein bestimmtes Design-Modell entwickelt Instrumente zum Lösen von Problemen (problem solving) und zum Ergeben von Sinn (making sense of things) (Falcon 2021, 144–45). Ein Design-Modell ist zwar metaphysischer Art, doch ist es nicht neutral: es hat sowohl zerstörerische als auch schützende Auswirkungen auf unsere Umwelt, denn Menschen handeln im Rahmen des Designs (Falcon 2021, 150).

Im Folgenden eine kurze Zusammenfassung zum zeitgenössischen Design-Modell: Ausgehend von der Strömung der Aufklärung & Moderne, verschmelzen unter anderem (I) der Kolonialismus, (II) der Kapitalismus und (III) paternalistische Traditionen zu einem metaphysischen, ontologischen, epistemologischen Design-Modell, das (1) einen Individualismus, (2) Cartesianischen Dualismus, (3) universalen Monismus beinhaltet, und einen (A) reduktionistischen Materialismus, (B) Rationalismus, (C) Essentialismus, sowie (D) ein ökonomischen Wachstumsparadigma befördert.

(I) Der Kolonialismus kennzeichnet die imperiale Eroberungsbewegung als physische Expansion des globalen Nordens, doch er umfasst auch einen sogenannten epistemologischen Imperialismus (Falcon 2021, 148 ff.). Letzteres beschreibt eine Hegemonie in der Wissenschaft, die sich als epistemische Gewalt äußert (Brunner 2020), sowohl gegenüber subalternen Personen, die aus der Wissensproduktion exkludiert werden (Spivak 2003), als auch gegenüber der Natur und nicht-menschlichen Akteur:innen, die auf Objekte reduziert werden (Shiva 1987). (II) Der Kapitalismus bildet das Vehikel der Extraktion planetarischer Ressourcen (Moore 2015), animiert zu einer differenzierten Arbeitsteilung und verschleiert als Ideologie (Bluhm und Bohlender 2010, 43 ff.) mit dem sogenannten Warenfetischismus die Arbeitsverhältnisse (Marx 1962, 85 ff. Hornborg 2014, 120). Auf der kolonialen Asymmetrie-Achse lässt sich eine latente Korrelation zwischen Arbeitsteilung und Rasse, Ethnie, Sex, Gender feststellen (Udupa und Dattatreyan 2023, 108). (III) Der Paternalismus, das Patriarchat und die Unterdrückung der Frau sind keine Neuigkeiten (van Schaik und Michel 2020; Tsing 2012, 145 ff.), siehe Gender-Pay-Gap usw.

(1) Durch den Individualismus werden Akteur:innen außerhalb ihres ökologischen sowie sozialen Kontext isoliert betrachtet (Falcon 2021, 149). Dazu gehört auch der menschliche Exzeptionalismus & Anthropozentrismus, der die Vorstellung einer menschlichen Autonomität & Kontrolle der Natur suggeriert, mit dem Nebeneffekt, dass wir viele Verbindungen übersehen (Tsing 2012, 144). Individualismus stellt eine Vorannahme (bias) dar: anatomisch, physiologisch, genetisch und im Hinblick auf unser Immunsystem sind wir Menschen keine Individuen (Gilbert, Sapp, und Tauber 2012). (2) Der Cartesianische Dualismus (oder: Divided Line) bezieht sich auf die Trennung zwischen Kultur & Natur, Individuum & Gesellschaft, Subjekt & Objekt, Geist & Körper (u.a. Hall und Ames 1995, 19 ff.). Diese Dichotomie induziert eine Reduktion der Natur auf ein Objekt (Shiva 1987). (3) Der universelle Monismus (auch: objektiver Idealismus, transzendentaler Monismus) plädiert für eine Vorstellung einer gemeinsamen Welt, mit einer universellen Wahrheit, die sich durch die Anwendung von Logik auf kausale Relationen entschlüsseln lässt (Hall und Ames 1995, 145).

(A) Der reduktionistische Materialismus ist das Resultat vom Cartesianische Dualismus. (B) Der Rationalismus als Paradigma (auch: second problematic thinking) ist ein bestimmter Denk-Typ und ideologische Position (Hall und Ames 1995; Keilhack 2023); er basiert auf dem universellen Monismus. (C) Der Essentialismus in der Disziplin der Ethnologie erforschte Forschungssubjekte mit einem positivistischen Ansatz; er resultiert ebenfalls aus dem universellen Monismus. (D) Das Wachstumsparadigma ist die Konsequenz des Kapitalismus.

Existenz alternativer Design-Konzepte der Welt

Für eine Transformation des gegenwärtigen Design-Konzepts gibt es unterschiedliche Forschungsansätze von sogenannten Design-Theoretikern. Der Ansatz der politischen Ontologie kritisiert und hinterfragt z.B. das Design-Modell der Moderne: Die Globalisierung sei eine ontologische Okkupation subalterner Welten, zerstöre alternative Design-Konzepte und reproduziere sowie naturalisiere das moderne Framework (Falcon 2021, 151). Ziel der politischen Ontologie sei ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Pluralität (Falcon 2021, 151).

Mit der Inspiration aus der Literatur der chinesischen Antike schlägt Ames eine Reformation der Ontologie vor, in eine sogenannte Zoetologie, die sich nicht mit dem „Sein“ (being) beschäftigt, sondern mit dem „Werden“ (becoming) (Ames 2023). Er identifiziert das korrelative & analogische Denken (first problematic thinking) als eine Denkweise, die prozesshafte Dynamiken sowie komplexe & diverse Realitäten darstellen kann, im Kontrast zum rationalen Denken (second problematic thinking), das eine universelle Realität mit statischen Begriffen und endlichen Grenzen zu setzen versucht (Hall und Ames 1995, 124 ff.). Das korrelative & analogische Denken erinnert an das Rhizom von Deleuze & Guattari (Deleuze und Guattari 1977). In der Tat verwendeten verschiedene Kulturen, unter anderem auch die europäische Tradition, lange Zeit das analogische Denken, um Probleme zu lösen, bis das antike Design-Modell einer Reformation bedurfte, weil Korrelationen zum Teil den empirischen Erfahrungen widersprachen; das Denken in Kausalitäten hingegen besaß im Vergleich zu Korrelationen zunächst eine akkurate Vorhersagekraft, weshalb es durch die Moderne hindurch das Design-Modell dominierte (Hall und Ames 1995, 134–35).

Abgesehen von der Festlegung eines metaphysischen Wahrnehmungsrahmens durch das Design-Modell der Moderne, weist Falcon darauf hin, dass auch ein bestimmter Zustand des menschlichen Bewusstseins durch dasselbe Modell gefördert wird (Falcon 2021, 153). Im Westen wird der nüchterne Verstand („normal waking consciousness“) als der normale, standardisierte sowie optimal-funktionierende Geisteszustand begriffen (Falcon 2021, 154). In westlichen Gesellschaften wird ein Rahmen für den Konsum legaler Drogen geschaffen, wie Zucker, Alkohol, Koffein und pharmazeutische Mittel, während Drogen, wie Dimethyltryptamin, Meskalin, Psilocybin, Lysergsäure-Diethylamid, kriminalisiert und moralisch-degradiert werden (Falcon 2021, 153–54). Dabei umfassen Psychedelika eine Vielzahl von empirisch nachweisbaren Phänomenen, darunter gesteigerte Empathie, Altruismus, Offenheit, Kreativität, veränderte visuelle Wahrnehmung sowie eine verstärkte Verbundenheit mit der Natur – dies sind Voraussetzungen für den zeitweiligen Ausbruch aus dem hartnäckigen Design-Modell der Moderne (Kettner u. a. 2019; Falcon 2021).

Eigene Erfahrung mit Psychedelika zur Bewusstseinserweiterung

Amsterdam, die Metropole für Sex & Drogen in Europa, bietet neben dem stilistischen Realismus Rembrandts, dem Impressionismus van Goghs ein expressionistisches Angebot der psychedelischen Bewusstseinserweiterung durch Cannabis, magische Pilze und Trüffel. Als Amateur konsumierte ich in Begleitung einen magischen Trüffel mit dem Inhaltsstoff Psilocybin, zum Wohle der Wissenschaft selbstverständlich. Nach einer halben Stunde fühlte ich mich zunächst benommen. Anschließend verlor ich jegliches Zeitgefühl. Eben geschehene Momente empfand ich als sehr viel älter, als seien sie abgeschlossene Episoden einer Filmserie. In abwechselnden Schüben empfand ich entweder Slow-Motion-Phasen, leichte visuelle Verzerrungen und das Bedürfnis grundlos, haltlos zu lachen. Ich fühlte mich zunehmend langsamer und mir fiel es schwer, mich verbal zu artikulieren. Gleichzeitig brauchte ich eine ganze Weile, um Video-Clips auf Instagram und YouTube zu verstehen, aber sobald ich den Kontext der Videos realisierte, fühlte ich mich den Protagonist:innen zutiefst empathisch verbunden.

Der psychedelische Ausflug erlaubte mir über das Design-Modell der Moderne zu reflektieren. Ich kam zu folgenden aufschlussreichen Ergebnissen über meine psychische Funktionsweise: (a) Statt logisch, kausal, rational zu denken, spürte ich mich korrelativ, assoziativ, relational denken. Ich hatte die Impression, dass das Denken viel intuitiver geschah. (b) Die Frage nach einer Ursache von Dingen erschien mir zudem absurd. Das „Verstehen“ oder „Sinn-Ergeben“ von Zusammenhängen werden nicht in Kausalketten konstruiert, nein, sie sind ein Gefühl. Das eigene Handeln oder Lachen oder Emotionen geschahen zwar bewusst, doch folgten sie weder Logik noch Grund. (c) Der psychedelische Einfluss bewirkte, dass ich alle Dinge sofort beseelte – ob mein eigenes Spiegelbild, Körperteile oder Gegenstände. (Man müsse sich mal vorstellen, dass die Person im Spiegel ständig für uns abrufbereit und anwesend sein müsse.) Alle Dinge kommunizierten nicht direkt mit mir, ich personifizierte sie bloß hinsichtlich ihrer Anwesenheit, als hätten sie eine Daseinsberechtigung. Statt durch einen ideologischen Individualismus, Dinge zu isolieren und aus dem Kontext zu betrachten, erlebte ich gewissermaßen Latours Akteur:in-Netzwerktheorie (Latour 2000). Darüber hinaus gelang es mir den Anthropozentrismus zum Teil aufzuheben, indem ich über die menschliche Entwicklungsgeschichte philosophierte und darin mein Abendessen Brot zentrierte: wir leben in kapitalistischen Abhängigkeitsverhältnissen um den Erwerb von Brot, das passiv die Welt beherrscht – ähnlich zu Tsings Darstellung über die Domestizierung des Menschen durch das Getreide (Tsing 2012, 145 ff.).

Naturverbundenheit? Für mich war es Umweltverbundenheit im Allgemeinen. Aus dieser Erfahrung nehme ich mit, dass die Parameter des Design-Modells der Moderne nicht universal gültig sind, sondern auch nur eine Möglichkeit sind, Problemlösungen zu finden, und dass Psychedelika definitiv einen Perspektivwechsel bewirken können.