Rassismusbekämpfung
Rassismusbekämpfung

Rassismusbekämpfung

„Rassismus ist wie ein Klavier, das einem auf den Fuß fällt. Man kann sich dafür entschuldigen, aber der Schmerz bleibt. Und das macht was mit Menschen. Das macht was mit Menschen.“ ~Tsepo Bollwinkel

Tsepo Bollwinkel leitet Workshops zur Aufklärung über das Thema Rassismus und war für einen Vortrag auf unserem Vorbereitungsseminar eingeladen. Herr Bollwinkel selber hat ausländische Wurzeln und erfährt aus diesem Grund immer wieder Rassismus. Er erläutert seine Einordnung von Rassismus und weist darauf hin, dass Rassismus oft mit Fremdenhass verwechselt wird. Seiner Auffassung nach bezieht sich Rassismus auf die Hautfarbe der Menschen, also die Herkunft der Menschen, wobei dieser Vorgang nur von ‚Weiße‘ auf ‚Farbige‘ herab funktioniert, also nur in eine Richtung. Das heißt im Umkehrschluss, dass ‚Schwarze‘ Weiße‘ nicht rassistisch behandeln können.

Rassismus passiert oft im Alltag, wenn auch unbewusst. Den Ursprung von rassistischen Denkweisen findet man oft schon in der Erziehung oder im Kindergarten. Er erzählt von seinen zwei deutschen Kindern, die am ersten Tag im Kindergarten sich neugierig sowie weltoffen auf die Kinderweltkarte im Spielezimmer stürzten, um sie zu begutachten. Darauf kann man bekannterweise in Paris einen Eiffelturm, in New York die Freiheitsstatue, in San Francisco die Golden Gate Bridge und in Sydney die Sydney Opera bestaunen. Als die Kinder jedoch ihr Ferienhaus auf dem afrikanischen Kontinent suchten, stießen sie nur auf kleine Comic-artige Abbildungen von dunkelhäutigen Menschen im Leoparden-Dresscode mit Speer ausgerüstet. Stirnrunzeln. Autsch. Das war das Klavier. Genau das bezeichnet Herr Bollwinkel als Rassismus. Der afrikanische Kontinent, so unbekannt er auch für manch einen Europäer scheinen mag, erhält selbst auf einer Kinderweltkarte im Kindergarten nicht den Respekt, richtig dargestellt zu werden. Es wird ein klischeehaft, primitives Bild kreiert, das den gesamten Kontinent Afrika mitsamt seinen Bewohnern komplett entwertet, vereinfacht, verfälscht. Es ist so, als ob in Afrika nur ein Haufen, nicht erwähnenswerter Buschmänner herumstreunen. Ja sogar, im Gegensatz zur viel ‚zivilisierteren‘ Gesellschaft der ‚Weißen‘ mit ihren bekannten architektonischen Werken. Nachdem Herr Bollwinkel höflich im Kindergarten darauf bestand, dass diese Weltkarte abgehängt wird, wurden er und seine Frau als sehr schwierige Eltern abgestempelt. „Man soll sich doch nicht so haben, wenn die Afrikaner so schlecht gezeichnet werden.“ Dieses verzerrte Bild der Realität tragen viele weiße Menschen mit sich, denn es ist tief im Konventionsdenken der Gesellschaft verankert.

Dem sei noch nicht genug. Tsepo Bollwinkel zählt ein Beispiel nach dem anderen auf, um uns zu zeigen, dass Rassismus kein Einzelfall ist. Bei der Einschulung seiner Kinder ging es ihm genauso, wie im Kindergarten. Das auszufüllende Einschulungsdokument fragte nach der Herkunft der SchülerInnen, in dem Herr Bollwinkel wahrheitsgetreu die deutsche Staatsangehörigkeit für seine Kinder angab. Die Dame am Schalter akzeptierte die Antwort nicht, da sie die Hautfarbe des Kindes sah und sofort zum Schluss kam: das Kind ist nicht Deutsch. Herr Bollwinkel solle doch bitte die richtige Staatsangehörigkeit angeben, weil die Schule sonst keine Fördergelder vom Staat für benachteiligte, ausländische Schulkinder bekommen würde. Zudem schien die Dame nicht zu verstehen, dass das Kind perfektes Deutsch spricht und keine andere Muttersprache konnte. Sie ließ anscheinend keine Ruhe bis Herr Bollwinkel genervt ihrem Cliché-haften Denken nachgab und zig Sprachen aufzählte, die das Kind ihrer Meinung nach sprechen müsste, Hindu, Afrikanisch und Mandarin. Autsch. Das war wieder das Klavier auf dem Fuß. Auch hier findet man heute noch Rassismus.

Mithilfe von Herrn Bollwinkels Power Point Präsentation kauten wir etwa 500 Jahre Kolonialherrschaft der Weißen durch. Das Thema handelte von Enteignung und Aneignung, angefangen mit der ‚Entdeckung von Amerika‘ 1492 (wie Herr Bollwinkel so schön sagt: der Anfang eines Genozids an den Mayas), bis hin zur Neuzeit. Enteignet wurden die Native Americans, der ‚Weiße Mann‘ eignet sich das Land an. Und dieses Phänomen gibt es nicht nur einmal. Die Geschichte der Weißen; hier wimmelt es nur so von Rassismus. Bis heute noch.

Beispiel: ‚Awimboweh awimboweh awimboweh awimboweh.‘ Der Gesang ist wunderschön; jeder kennt ihn. Im Disney-Film „Der König der Löwen“ kommt dieser Song „The Lion Sleeps Tonight“ vor. Doch keiner weiß, wie viel rassistische Enteignung und Aneignung in diesem 3-Akkord-Lied steckt. 1939 wurde der ursprüngliche Song Mbube vom Südafrikaner Solomon Linda komponiert und gesungen. Wimoweh steht hier für einen Ausruf südafrikanischer Stämme zum Ausdruck, dass der Löwe, als Metapher für den König, gestorben ist. Dieser Ausruf implizierte damals, dass man sich versammelt, um einen neuen König auszuwählen. Die Band um Solomon Linda hatte mit diesem Lied in England wenig Erfolg; das Urheberrecht für das Lied wurde für 10 Schillinge an die Plattenfirma verkauft. Somit war Solomon Linda vom späteren Erfolg seines Liedes, von weiteren Publikationen und 150 Cover-Versionen ausgeschlossen. Sein Song wurde zu einem der erfolgreichsten Hits auf der ganzen Welt. Wer, gemessen am gesamten Erfolg, 10 Schillinge noch nicht als Enteignung sehen möchte, wird feststellen, dass der um-arrangierte Song Wimoweh mit der Hookline „In the jungle, the mighty jungle, the lion sleeps tonight“ sowie pseudo-afrikanischen Trommelbegleitung unter weißen Musikproduzenten und Sängern den größten Erfolg absahnte. Der Songtext vom gefallenen König wurde zu einem im Jungel schlafenden Löwen uminterpretiert (Seit wann lebt ein Löwe im Jungel?). Ist es nicht unfair, dass man sich eines fremden Songs bedient und damit Millionen einspielt? Ist es nicht unfair, dass ein Song erst bekannt wird, wenn er von Weißen gespielt wird?

Tatsächlich ist es ein Fakt, dass Schwarze einen großen Nachteil im Berufsleben erfahren. Viele Farbige werden diskriminiert; viele ausländisch-aussehende Gruppen werden westlich dominierten ‚weißen‘ Welt marginalisiert. Auch Führungspositionen sind selten von Farbigen besetzt. Warum fallen uns kaum Namen von schwarzen Erfindern ein? Weiße Erfinder kennt jeder, doch schwarze sind nie in unseren Schulbüchern genannt. Haben Farbige etwa nie etwas erfunden? Herr Bollwinkel verneint dies. Der eigentliche Erfinder der Ampel ist zum Beispiel ein Schwarzer. Auch nach längerer Recherche im Internet konnte ich ihn nicht eindeutig finden. Nur Weiße werden als maßgebliche Erfinder der Ampel genannt.

 

Zurück zum Film Der König der Löwen, erschienen 1994. Er beherbergt den bereits beschriebenen Song Wimoweh. Was hat dieser Film mit Rassismus zu tun? Jeder kennt ihn, ob jung oder alt. Eltern setzen gerne mal ihre Kinder vor den kunterbunten Zeichentrickfilm und dabei merken sie nicht, wie sich rassistische Merkmale eingeschlichen haben. Die Tiere im Film werden personalisiert. Dabei wird in gut und schlecht aufgeteilt. Die weißen, guten, braven Löwen kämpfen gegen die dunkelhäutigen, bösen, furchterregenden Löwen. Ist das Zufall? Hat Disney rassistische Andeutungen gemacht? Wenn man den Film genauer untersucht, findet man sogar weitere Indizien dafür. Die hinterlistigen Hyänen haben Hakennasen, die so in früherer deutscher Propaganda des Dritten Reichs als Identifikationsmerkmale von Juden galten. Sind das hier etwa antisemitische Anspielungen? Und wir schlucken das. Und das ist ein Autsch. Das ist ein Klavier, das einem auf den Fuß fällt. Das tut weh. Und das macht was mit Menschen. Das macht was mit Menschen.

 

 

Insgesamt war dieser Workshop mit Tsepo Bollwinkel unglaublich spannend und fesselnd. Diese Präsentation hat mich emotional angetan und wird mich weiterhin beschäftigen. Herr Bollwinkel erklärt, man müsse erst verstehen was Rassismus ist, bevor man es bekämpft. Und dieser Meinung schließe ich mich an. Vielen Dank fürs Lesen.

 

Ich würde mich sehr über eine Spende für mein freiwilliges Jahr in Indien freuen. Weitere Informationen gibt es im Artikel schüchterner Spendenlauf. Danke für jeden Support!

http://pinyattaproduction.com/schuechterner-spendenlauf/