Die Genesis-Trilogie in der Öko-Krise
Die Genesis-Trilogie in der Öko-Krise

Die Genesis-Trilogie in der Öko-Krise

Dieser Essay entstand im WiSe23/24 Rahmen des Seminars „Dunkelgrüne Religion – Religiosität & Spiritualität als Transformationsdesign für eine Andere Welt?“ unter der Leitung von Dr. Wolfgang Kapfhammer an der LMU. Die Illustrationen sind in Zusammenarbeit mit DreamStudio entstanden. Quellen befinden sich im PDF.

Abstract

In diesem Essay betrachte ich die ökologische Krise in Verbindung mit dem christlichen Denkparadigma und der theologischen Geschichte. Die Genesis-Trilogie interpretiere ich als narrative Drehbuch-Vorlage für die Krise, in der die Menschheit den Verlust des Gleichgewichts mit der Natur erlebt. Das Dominum-Terrae-Gebot und die Objektifizierung der Natur identifiziere ich als entscheidende Elemente für die industrielle Ausbeutung und ökologische Probleme. Trotz Bemühungen im Umweltschutz bleibt die Frage nach einer wirksamen Lösung offen. Eine sozial-ökologische Transformation erfordert nicht nur äußere Reformen, sondern auch eine Veränderung der individuellen Denkweisen und Wahrnehmungen.

Elevator-Pitch der ökologischen Krise

Die sogenannte Lynn White These besteht darin, dass das christliche Denkparadigma verantwortlich ist für die ökologische Krise auf unserem Planeten (Taylor 2005, 1735–36). In einer historischen Retrospektive bestimmte insbesondere die christliche Theologie den Umgang mit der Natur & den Lebewesen. Lynn White entdeckte einen Zusammenhang zwischen dem Ethos des christlichen Mittelalters und der ausbeuterischen Einstellung des Menschen zur Natur (Haberer und White 1982). Die monotheistischen Traditionen des Juden- & Christentums lehrten ein einflussreiches Framework der Weltwahrnehmung, in der es galt, die Natur zu dominieren, zu domestizieren, und alternative, oft animistische, Weltanschauungen zu zerstören (Taylor 2005, 1736). Das Christentum instruierte theologisches Gedankengut: darunter eine Harmonie & Zweckmäßigkeit eines göttlichen Weltplans, eine Unerschöpflichkeit der Natur, sowie die Nützlichkeit der Ressourcen für die Menschen (Groh und Groh 1996, 50). Die Bibel sowie die jüdisch-christlichen Dogmen beeinflussten die historische Wissensproduktion und Erkenntnisprozesse insofern, dass sie Ontologie und Epistemologie des Westen entscheidend prägten (vgl. Glacken 1967). Schließlich findet die Wissenschaft ihren Ursprung in der Parallelität zur christlichen Religion, durch die Ordnung des Chaos und die Erfindung des Kosmos, creatio ex nihilo (Hall und Ames 1995, 3–11; Groh und Groh 1996, 21; Glacken 1967, 151–53). Das Christentum & die Wissenschaft der Aufklärung teilen sich den Universalitätsanspruch der Wahrheit (vgl. Hall und Ames 1995, 120), der sich über das Vehikel einer imperialen Missionierung und kolonialen Kapitalismus erfolgreich globalisiert hat (vgl. Shiva 1987). So legte das Christentum das Fundament für die Entstehung der modernen Wissenschaft und technischen Industrialisierung (Groh und Groh 1996, 50).

Also nicht nur materielle & soziale Machtstrukturen sowie Organisationsformen tragen zu einem gesellschaftlichen Entwicklungsverlauf bei, der in einer ökologischen Krise mündet, sondern auch die sogenannten „mentalen Infrastrukturen“ der Individuen (Sommer und Welzer 2017, 106). Jeder einzelne Mensch leistet mit seiner/ihrer kognitiven Persönlichkeitsstruktur einen Beitrag zum Wachstumsparadigma der modernen Gesellschaft (Welzer 2011). Obwohl in der Vergangenheit häufig Daten zur Umweltzerstörung erhoben wurden, wurden ökologische Probleme aufgrund des theologischen Bewusstseins nur sehr spät realisiert (Groh und Groh 1996, 12). Eine Bewältigung der ökologischen Krise sei daher nur, aber nicht ausschließlich, durch eine spirituelle Wende möglich (Radkau 2011, 258). Da selbst das Projekt des Umweltschutzes meist einer theologischen Logik folgt, bleibt die Frage offen, ob & wie effektiv eine ökologische Wende möglich ist. Innerhalb des Rahmens des christlichen Naturverständnisses und unter Berücksichtigung der theologischen Einflüsse auf die Wahrnehmung der Umwelt, untersucht dieser Essay deshalb die provokante Hypothese, dass die biblischen Erzählungen Genesis 1 bis 3 eine mögliche narrative Drehbuch-Vorlage für die gegenwärtige Krise geliefert haben. Im Folgenden betrachte ich die Parallelität zwischen Genesis 1 bis 3 und dessen Replikation in Form der ökologischen Krise. Dabei verstehe ich Religion nicht als autoritäre Institution der Manipulation, sondern als ein von Menschen selbst-induziertes System (vgl. Marx 2009, 170).

Genesis 1 – Exposition & Konflikt

Mit dem Befehl „Es werde Licht!“ (Genesis 1:3) erschafft Gott einen geordneten Kosmos (Glacken 1967, 151–53; Hall und Ames 1995, 7). Genesis 1 beschreibt die Schöpfung der Welt in sechs Tagen, mit dem Menschen als Höhepunkt und Zentrum. Das Kapitel bildet den Ausgang der menschlichen Arroganz (Glacken 1967, 166; Groh und Groh 1996, 15; Haberer und White 1982). „[…] machet sie [die Erde] euch untertan […]“ (Genesis 1:28), so lautet der Auftrag der Bibel die Natur zu zähmen, zu domestizieren und kennzeichnet das sogenannte Dominum-Terrae-Gebot (vgl. Glacken 1967, 157). Die Phyikotheologie als interdisziplinäre Herangehensweise untersucht die Verbindung zwischen Naturwissenschaften und Theologie: Im Prozess der Aufklärung wurde der Natur-Begriff durch die Säkularisierung unabhängig von Gottes Werk verstanden (Groh und Groh 1996, 50). Trotz der „Entgöttlichung“ oder Objektifizierung der Natur blieben die theologischen Prinzipien konsistent, indem die moderne Gesellschaft die Rahmenbedingungen des christlichen Naturverständnis vererbte, wie etwa die Vorstellung einer Unerschöpflichkeit der Ressourcen (Groh und Groh 1996, 35). Diese Annahme der Unendlichkeit der Ressourcen benennen Groh und Groh einen metaphysischen Optimismus (Groh und Groh 1996, 17 ff.).

Diese Reduktion der Natur auf ein Objekt, als epistemische Gewalt, (Shiva 1987, 102) ermöglichte und legitimierte die industrielle Ausbeutung sowie technische Beherrschung der Natur (Groh und Groh 1996, 50). White visualisiert die Brutalität des Natureingriffs als physische Gewalt am Beispiel des Bodens durch die Erfindung der Pflug-Technologie, bei der die Erde umgewühlt wird, mithilfe der Antriebskraft von acht Ochsen (Haberer und White 1982). Als den Beginn des Wachstumsparadigmas identifiziert er die Fusion zwischen der traditionellen Wissenschaft und der Technologie (Haberer und White 1982). Der wissenschaftliche & technologische Fortschritt wurde dabei als ein „Prozess der Annäherung an [den] ursprünglichen Zustand einer heilen Welt“ verstanden (Groh und Groh 1996, 65). Das heißt, der aufgeklärte Mensch erhebt sich zur/m Agent:in und verwandelt den Planeten in eine „Weltfabrik“, um das christliche Konzept des Contemptus Mundi zu überkommen, durch die Befriedigung weltlicher Bedürfnisse (Groh und Groh 1996, 17, 28, 41 ff.). Ein Beispiel für die Beschreibung eines erstrebenswerten Utopie-Zustandes ist das Werk „Nova Atlantis“ von Bacon (Bacon 1643).

Adam & Eva im Aufzug zur Erde.

Genesis 2 – Retardierendes Moment

Gottes Schöpfung sei der Beweis für seine Existenz (Glacken 1967, 151, 160). In seiner Schöpfung verwirklicht und verbirgt sich seine Omnipotenz sowie Weisheit. „Gott […] setzte ihn [den Menschen] in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte.“ (Genesis 2:15). Auf der Grundlage von Genesis 2 repräsentierte die arkadische Tradition eine Strömung von Wissenschaftler:innen, die sich von christlichen Werten motiviert sahen, die Natur als Offenbarung Gottes zu beobachten (vgl. Trepp 2006). Der Naturforscher Gilbert White gehörte zum Beispiel der Tradition an und lieferte präzise Darstellung der Tier- & Pflanzenwelt in seinen Werken, nicht zuletzt um Gottes Schöpfung im Hinblick auf die Ordnung & Harmonie zu huldigen (vgl. White 1789). Die deutsche Künstlerin und Naturforscherin Mara Sibylla Merian wurde berühmt für ihre bahnbrechenden Studien über die Metamorphose von Schmetterlingen und ihre detaillierten Illustrationen von Pflanzen und Insekten (Trepp 2009). Durch ihre Werke huldigte sie ebenfalls Gottes Schöpfung, indem sie das ökologische System als Gott-gegebenen Ordnungszusammenhang bestätigte und die Schönheit & Komplexität der Natur in ihren Bildern festhielt (vgl. Trepp 2009).

Genesis 3 – Höhepunkt & Eskalation

Genesis 3 beschreibt den Sündenfall Adam & Evas und ihre Verbannung aus dem Garten Eden, was unter dem Konzept des Contemptus Mundi (die Verachtung der Welt) verstanden wird (vgl. Glacken 1967). Contemptus Mundi repräsentiert eine spirituelle Haltung der Distanzierung oder Gleichgültigkeit gegenüber materiellen Besitztümern, im Hinblick auf Ursünde & Strafe Gottes (Glacken 1967, 162 ff.). Während der Garten Eden Ordnung symbolisiert, wird die Erde mit Chaos assoziiert; erst Noahs Absprache mit Gott nach der Sintflut sichert erneute Ordnung (Glacken 1967, 154). Es ist nicht verwunderlich, dass gerade der Retter der Artenvielfalt Noah in einigen Umweltbewegungen als Symbol für die menschliche Verantwortung des Umweltschutzes gilt (Radkau 2002, 104). Radkau erkennt ein protestantisches Sündenbewusstsein im Umweltbewusstsein: der Klimawandel wird als Rache & Strafe der Natur interpretiert (Radkau 2011, 257–59). Das Engagement für die Umwelt geschieht im theologischen Rahmen, dessen Dominum-Terrae-Gebot ja zum Schutz der Erde verpflichtet (Radkau 2011, 261). Umweltschutz wird oft von bestimmten Ökofundamentalist:innen mit einem „prophetenhaften Habitus“ als Kampf zwischen Gut & Böse ausgelegt (vgl. Radkau 2011, 259 ff.). Allerdings habe die menschliche Historie gezeigt, dass die Religion nicht immer die Interessen der Ökologie vertritt, zumal Religionen zunächst anthropozentrischen Ursprungs ist (vgl. Radkau 2002, 99–103). So entsprang die bäuerliche Verehrung der Erde in Europa einer patriarchalen Tradition, bei der die Fruchtbarkeit des Menschen mit dem Land verglichen wurde (vgl. van Schaik und Michel 2020; Tsing 2012; Radkau 2002, 101). Zwar kommt die Metapher der Mutter-Erde in verschiedenen Kulturen vor, doch verhinderte sie nicht die Ausbeutung & Gewalt ihr gegenüber (Radkau 2002, 102) – wie auch, wenn in paternalistischen Gesellschaften die Frau mit einer Selbstverständlichkeit unterdrückt wurde? (vgl. van Schaik und Michel 2020).

Adam & Eva beißen in den sauren Apfel.

Cliffhanger- Happy End oder Tragödie?

Die Trilogie Genesis 1 bis 3 geben eine klassische narrative Drehbuch-Vorlage für den Ausgangspunkt und die gegenwärtige Situation der ökologischen Krise: die Menschheit folgte den Fußstapfen einer verruchten Antiquität, indem sie in den sauren Apfel der modernen Aufklärung gebissen hat und nun hinsichtlich Gottes Strafe an Verantwortung appelliert. Nun bleibt uns die Auflösung und der Schluss – gelingt uns eine Katharsis? Nach Campbell (Campbell 1978) könnte vielleicht Elon Musk der Held der Geschichte sein, der schonmal eine intergalaktische Arche Noah baut, um der „Rache der Natur“ zu entkommen – vielleicht ist seine Flucht ja in Wirklichkeit eine Verbannung, aber dann fallen mir noch ein paar andere Menschen ein, die man vom Planeten verbannen sollte. Das hilft alles nichts.

Doch wie können wir die dritte Wand unseres Narrativs durchbrechen? “Sozial-ökologische Transformationen bedeuten […] nie nur die [RE]Formierung der äußeren Bedingungen menschlicher Existenz, sondern immer auch die [REformierung] der psychischen Struktur der Menschen – also ihrer Wahrnehmungs- und Deutungsweisen, ihrer Selbstbilder, ihrer Emotionen, ihres Habitus“ (frei nach Sommer und Welzer 2017, 106).

Elon Musk in seiner Arche Noah